Die verschiedenen Bausteine der Reizdarmtherapie

Laut Leitlinie gewinnt das Mikrobiom und eine multimodale Therapie des Reizdarmsyndroms an Bedeutung

Inzwischen wird das Reizdarmsyndrom als Störung der Darm-Hirn-Achse definiert, wobei das intestinale Mikrobiom eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Diese Bedeutung spiegelt sich auch in den Empfehlungen der aktuellen Leitlinie aus dem Jahr 2021 zugunsten eines multimodalen Behandlungskonzepts wider.1

Lesezeit: ca. 3-4 min.

Das Reizdarmsyndrom  – Staus Quo in Deutschland

Das Reizdarmsyndrom ist eine multifaktorielle chronische Erkrankung, deren kausalen Zusammenhänge oft komplex sind. Die Prävalenz in Deutschland liegt bei 10-24%, mit einer vermutlich hohen Dunkelziffer, da nur 5% der Betroffenen einen Arzt aufsuchen. Das Reizdarmsyndrom ist somit die häufigste funktionelle Störung des Gastrointestinaltrakts. Rund 25 % aller ambulanten gastroenterologischen Patienten sind Reizdarmpatienten. Das heterogene Krankheitsbild ohne und die dadurch resultierende herausfordernde Behandlung führt zu zahlreichen zeit-/kostenintensiven Arztkonsultationen. Durch hohe direkte (Diagnostik, Medikamente, Begleiterkrankungen) und indirekte soziale Kosten (Fehlzeiten bei Arbeit und Schule, Produktivitätsverlust und verminderte Lebensqualität) stellt das Reizdarmsyndrom eine hohe sozioökonomische Belastung für die Gesellschaft dar.

Der typische Reizdarmpatient

60% der Betroffenensind Frauen, wobei der Alterspeak unter 50 Jahren liegt. Die PatientInnen leiden unter einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität und haben meist schon etliche das Gesundheitssystem belastende Arztbesuche hinter sich. Bevor eine gesicherte Diagnose erfolgt vergehen im Durchschnitt 7 bis 8 Jahre, in denen die Betroffene meist schon viel selber ausprobiert haben. Dies führt zu einer hohen Erwartungshaltung der Patienten an die Ärzte.

„Psychische Belastung wie Stress, Angst oder Depressionen verstärken häufig die Symptome. Umgekehrt kann auch die Belastung durch die chronischen gastrointestinalen Beschwerden wiederum Angststörungen oder Depressionen begünstigen.

Paradigmenwechsel der neuen Reizdarm-Leitlinie

Nach aktuellem wissenschaftlichem Verständnis wird das Reizdarmsyndrom inzwischen als Störung der Darm-Hirn-Achse definiert. Pathophysiologisch hat v.a. das intestinale Mikrobiom bei den Patienten großen Einfluss auf die:1

  • abnorme gastrointestinale Motilität,
  • Dysregulation des enterischen Nervensystems / Viszerale Hypersensitivität,
  • mukosale Immunaktivierung (unterschwellige Entzündung),
  • verringerte intestinale Barrierefunktion (sog. Leaky Gut), sowie
  • den gestörten Gallensäure-Metabolismus 

Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen pathophysiologischen Störungen, erfordert das äußerst heterogene Krankheitsbild Reizdarmsyndrom ein breites Spektrum an potentiell wirksamen Behandlungsoptionen. Dies spiegelt sich auch in der aktualisierten S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms wider. 

Die DGVS hat ihre Empfehlungen zugunsten eines multimodalen Behandlungskonzepts überarbeitet in dem das intestinale Mikrobiom nun an Bedeutung gewinnt.1 Therapieziel ist eine akzeptable Verbesserung der Gesamtbeschwerden und Steigerung der Lebensqualität mit möglichst geringen Einschränkungen für die PatientInnen.

Wegweiser für die Reizdarmtherapie

Neben der rein symptomatischen Medikation sollen nun auch gezielte Ernährungsempfehlungen, Entspannungstechniken und Mikrobiom-Modulation durch evidenzbasierte Probiotika in das individuelle Behandlungsschema integriert werden.1

Abb. 1 Das Multimodale Therapiekonzept bei Reizdarmsyndrom besteht aus 4 Behandlungsbausteinen die individuell miteinander kombiniert werden sollten, um auch langfristig das Therapieziel zu erreichen.

Das gilt für den evidenzbasierten Einsatz von Probiotika 

In der abgelaufenen Leitlinie von 2011 wurde lediglich eine Kann-Empfehlungen für Probiotika bei Reizdarmsyndrom ausgesprochen. Ihr Einsatz gewinnt in der überarbeiteten Version an Bedeutung: ausgewählte Stämme sollten in das Therapiekonzept integriert werden.1

Empfehlung 7-2a: „Ausgewählte Probiotika sollten in der Behandlung des RDS eingesetzt werden.“

Der Zusatz „die Wahl des Stammes erfolgt nach der Symptomatik“ verdeutlicht, dass mikrobiologische Präparate ausgewählt werden sollen, die stammspezifische klinische Wirksamkeitsnachweise mitbringen. 

Für den evidenzbasierten Einsatz von Probiotika gilt: 

  • Stamm- und Krankheitsspezifische Wirksamkeitsnachweise beachten
  • Einnahme für mind. 4 Wochen um Wirksamkeit zu beurteilen2

Empfohlen wird u.a. der spezifische Bakterienstamm Lactobacillus plantarum 299v (enthalten in Innovall® RDS/Apotheke). Eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte, randomisierte, multizentrische Studie mit 214 ReizdarmpatientInnen zeigte eine signifikante Reduktion aller typischen Reizdarmsymptome.3  

Real-Life-Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag konnten diesen Wirkeffekt bei 243 ReizdarmpatientInnen bestätigen.4 In der aktuellen Studie wurde u.a. gezeigt, dass eine Therapie mit 1 Kapsel Innovall® RDS täglich über die Dauer von bis zu 12 Wochen mit den positiven und signifikanten Effekten auf die Gesamtsymptomatik und Lebensqualität korrelieren.

Alle Ergebnisse aus der Studie von Krammer et al. (2021) finden Sie zusammengefasst als Whitepaper zum Download für Fachkreise.

Evidenzbasierte Entspannungstechniken

Studien zeigen: Darm und Psyche sind eng verbunden und im ständigen Austausch. Definiert wird das Reizdarmsyndrom inzwischen als Funktionsstörung der Darm-Hirn-Kommunikation. Stress kann dabei ein zusätzlicher Auslöser oder verstärkender Faktor für die chronischen Darmbeschwerden sein.  

Empfehlung der Leitlinie: Yoga sollte im Rahmen eines komplementären Behandlungskonzepts angeboten werden.

Abb. 2 Eine in Kalifornien durchgeführte Studie aus dem Jahr 2015 hat den Einfluss von Yoga auf Patienten mit einem Reizdarmsyndrom untersucht. Die 64 Patienten wurden in Gruppen eingeteilt, die entweder über 12 Wochen an einem wöchentlichen Yogaprogramm von 60 Minuten teilnahmen oder die kein Yoga machten. * p<0,001, verglichen zu „kein Yoga“ und verglichen zu Woche 0.5

Da sich die Studienlage zu „nicht-medikamentöse Therapieansätze“ wie Stressmanagementprogrammen und Entspannungsverfahren in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, gewinnen  sie im medizinischen Umfeld tatsächlich immer mehr Akzeptanz. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen auch bei Reizdarmpatienten die Wirksamkeit von speziellen Entspannungsverfahren als  „begleitende Behandlungsbausteine“ die den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können. 

Daher empfiehlt die aktuelle Leitlinie gezielte und einfache Entspannungsmethoden in das Therapiekonzept zu integrieren. Dazu gehören u.a.: 

  1. „Kleine Psychotherapie“ (GOÄ Nr. 849)
  2. Einfache Strategien zur Stressvermeidung und/oder Krankheitsbewältigung:
    • Körperliche Bewegung 
    • Progessive Muskelrelaxtion
    • Yoga
    • Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR)
    • Darmhypnose
    • Akupunktur 
    • angeleitete Selbsthilfestrategien (z. B. mithilfe eines Patientenhandbuchs oder Online-Selbsthilfeprogrammen)

Ernährungsempfehlungen bei Reizdarmsyndrom

Die Ernährung hat einen großen Einfluss auf das intestinale Mikrobiom, kann aber zusätzlich auch noch über andere Mechanismen die Symptomentstehung und Symptomschwere beeinflussen. Daher sind ernährungstherapeutische Maßnahmen sinnvoller Bestandteil eines Therapiekonzepts. Folgendes sind die Neuerungen der aktuellen Leitlinie, die auch eine begleitende medizinische Ernährungsberatung empfiehlt:

  • individuelle Ernährungsempfehlungen, die sich an den jeweiligen Symptomen orientieren.
  • längerfristige Eliminationsdiäten sollten nur bei gesichertem Nachweis individueller Nahrungs-mittel-Unverträglichkeiten durchgeführt werden.
  • Mangelernährung soll vermieden bzw. behandelt werden.
  • Bei RDS-O (ggf. RDS-D): Steigerung löslicher Ballaststoffen.
  • Bei Schmerzen, Blähungen als dominantes Symptom und RDS-D (ggf. RDS-O) sollte eine low-FODMAP-Diät empfohlen werden.

Einladung zum Webinar:

Komplementärmedizinische Behandlungsmethoden bei gereiztem Darm – Ernährung, Yoga und Hypnose

Erfahren Sie im anstehenden Webinar mit Prof. Storr mehr über die komplementärmedizinischen und evidenzbasierten Behandlungsansätze und Empfehlungen für den Reizdarmpatienten. Welche Ernährungsform sollte bei Reizdarm eingehalten werden? Welche Nahrungsergänzungsmittel sind hilfreich um Symptome zu lindern? In Hinblick auf die ebenso wichtige Stressreduktion lernen Sie entspannende und aktivitätssteigernde Übungen aus dem Yoga, dem Autogenem Training und der Meditation kennen.

Montag, den 27. Februar um 19:30 Uhr

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Von Wissenschaftlern geprüft